Arbeit ist des Bürgers Zier? - Bürgerliches Arbeitsverständnis vs. biblische Botschaft

Wenn Lenin einst verkündete "wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen", US-Republikaner sich gegen Elemente eines Sozialstaats wehren oder christliche Organisationen es Christen auferlegen nach Möglichkeit in der allgemeinen Wirtschaft erwerbstätig zu sein, dann beziehen alle drei sich jeweils auf eine beiläufige Bemerkung von Paulus in der christlichen Bibel.

"Wir anempfehlen euch aber, Brüder, im Namen des Herrn Jesus Christus, daß ihr euch von jeglichem Bruder zurückzieht, der unordentlich und nicht nach der Vorschrift lebt, die er von uns empfangen hat. Ihr wißt ja selbst, wie ihr uns nachleben sollt, denn wir haben unter euch nicht unordentlich gelebt; Auch haben wir nicht jemandes Brot umsonst gegessen, sondern mit Mühe und Beschwerde Tag und Nacht gearbeitet, um keinem unter euch beschwerlich zu werden; Nicht als ob wir dazu kein Recht gehabt hätten, sondern um euch ein Vorbild zu geben, daß ihr uns nachleben sollt. Denn als wir bei euch waren, stellten wir auf, daß einer, der nicht arbeiten will, auch nicht essen soll; Weil wir hören, daß etliche unter euch unordentlich wandeln, nicht arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben. Solchen aber anempfehlen wir und vermahnen sie durch unseren Herrn Jesus Christus, daß sie geruhig arbeiten und ihr eigenes Brot essen. Ihr aber, Brüder, seid unverdrossen im Gutestun. So aber jemand sich an unser Wort in dem Brief nicht kehrt, den zeichnet an, und habt keine Gemeinschaft mit ihm, daß er sich schämen muß. Doch haltet ihn nicht als Feind, sondern vermahnt ihn als einen Bruder."
1. Thess 3,6ff

Frühe Christen lebten, wie man lesen kann, oft in Gütergemeinschaft. Viele brachten ihr persönliches Gut ein, man lebte in einer Art von Kommune. Heute leben nur noch wenige Christen so. Auch die oadische Kultur kennt Privateigentum und erkennt es als Bestandteil von Stabilität, da menschliche Organisationen nicht selten zu Mißwirtschaft oder unschönen von Weltlichkeit getriebenen Machtkämpfen neigen. Trotzdem ist gemeinsames Wirtschaften ein wichtiger Faktor für die ideelle Handlungsfähigkeit einer Kommune.

Leben Christen jedoch in einer Kommune mit Gütergemeinschaft, ist es nachvollziehbar sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sie bis heute Kommunen praktisch jeder Art umtreibt: Wie halten wir es mit Gemeinschaftsmitgliedern, die sich gar nicht oder nur wenig an Aufgaben beteiligen, die der Gemeinschaft wichtig sind? Paulus lehrte in der genannten frühchristlichen Gemeinschaft und arbeitete selbst auch praktisch in ihr mit, um ein Beispiel vorzuleben, dem heute kaum noch ein "Geistlicher" folgt, der sich von "Kirchen" entlohnen läßt.

"Eine Kultur kann hoch heißen, auch wenn sie keine Technik oder kein Skulpturenwerk hervorbringt, aber nicht, wenn ihr Barmherzigkeit fehlt."
Johan Huizinga

Christliche Gemeinschaft strebt auch nach dem zuerst angeführten Zitat danach Gutes zu tun, weniger danach für sich selbst einen weltlich geachteten Lebenstandard zu erhalten. In unserer Zeit, in der die Sklaverei früherer Zeiten durch die Nutzung von "Energiesklaven", also Maschinen, abgelöst wurde, haben es Menschen hierzulande sehr leicht ihre leiblichen Bedürfnisse zu decken. Um sich Nahrung kaufen zu können, muß ein Mensch nur einige Stunden in der allgemeinen Wirtschaft tätig sein. Erst recht nach Einführung des Mindestlohns in Deutschland.

Eine christliche Kommune würde nach innen die Funktion des Sozialstaats übernehmen und Alte, Kinder und "Bedüftige", die aus verschiedenen Gründen keinem eigenen Erwerb nachgehen, miternähren. Solche, die sich von der Gemeinschaft ernähren lassen und durchaus in der Lage wären etwas zum Kommunenhaushalt beizutragen, möchte Paulus damit nicht durchkommen lassen und rät dazu sie zu "beschämen", also ihnen zu veranschaulichen, daß das so nicht in Ordnung ist. Was allerdings voraussetzt, daß jemand ein Mindestmaß an gewissenhaftem Verständnis für die Ausgangslage besitzt. Besitzt er das nicht, Wäre es vielleicht am sinnvollsten dieses Gemeinschaftsmitglied seinen eigenen Haushalt führen zu lassen.

Heute ist es leider dahin gekommen, daß Christen ohne mit ihnen vorhandene christliche Gütergemeinschaft menschlich angeschlagene Glaubensgeschwister schikanieren, weil sie nicht erwerbstätig sind und Sozialleistungen vom Staat annehmen. Dabei wird so getan, als sei das Ziel der so gedeuteten "Arbeitsnorm" irgendein weltlicher Wohlstand. Auch wird in Bezug darauf von Christen gegen ein allgemeines Bürgergeld polemisiert, indem argumentiert wird, daß der Mensch für seinen weltlichen Unterhalt arbeiten solle. "Arbeiten" wird dabei im Sinne des allgemeinen weltlichen Arbeitsmarktes gesehen, der nicht das Ziel hat im christlichen Sinne Gutes zu tun und daher als Kategorie über den Zweck hinaus untauglich ist.

Wie kommt es, daß Christen überhaupt unter Berufung auf diese Stelle an Glaubensgeschwistern Kritik üben, obwohl sie selbst eigenen Besitz für sich behalten, um mehr zu haben als Mitchristen? Kann man einem Christen vorwerfen Geld vom Staat anzunehmen? Kann man aus der Bibel etwas ableiten, das gegen das Vorgehen des Staates spricht mit Steuereinnahmen den Versuch zu unternehmen selbst mit seinen Mitteln "Nächstenliebe" zu üben? Mit der oben zitierten Stelle wohl nicht, denn dort geht es um den Umgang unter Christen in Gütergemeinschaft. Und wer über hohe Steuerlast klagt, der sollte bedenken, daß Selbstversorgung und Kommunewirtschaft in diesem Land weitgehend steuerfrei bleibt, gerade wenn sie "gemeinnützigen Zwecken" dient. Auch ansonsten ist nicht erkennbar, daß der Staat durch sozialstaatliche Regelungen christlichen Glaubensinhalten zuwiderhandelt, selbst wenn diese keine Ideallösung darstellen. Und politische Ansichten mit Glaubensinhalten zu vermischen ist problematisch.

"Denn wer zu Seiner Ruhe eingegangen ist, ruht auch selbst von seinen Werken, wie auch Gott von den Seinigen. So lasset uns nun Fleiß tun, einzugehen zu dieser Ruhe, auf daß nicht einer ein warnendes Beispiel dieses Ungehorsams werde."
Heb 4,10f

Wenn dem so ist und der Arbeitsbegriff des Paulus nicht nach weltlichen Maßstäben gemessen werden kann, fragt sich wie bürgerlich-untertänige Vorstellungen von "Fleiß" derart in christliche Kreise einsickern konnten. Schlichte oadische Lebensweise wird so immer wieder oberflächlich als "Faulheit" oder "Unkultiviertheit" fehlgedeutet, obwohl der betreffende Mensch seinen eigenen Lebensunterhalt bestreitet, ohne sich auf dem Wohlwollen anderer Christen oder einer christlichen Kommune "auszuruhen". Ja, es wird von Außenstehenden selbst als "Faulheit" fehlgedeutet, wenn ein Oadier sich in Ruhe mit anderen Menschen und dem vorrangigen Blick auf ihr seelisches Leben beschäftigt.

Materialismus und Weltlichkeit als Christenpflicht? Wie weit haben sich nur manche Christen, die selbst kaum Liebe leben, von Sinn der Bibel entfernt. Manchmal scheint es aus einer Art von Flucht vor dem Geist und der inneren Klarheit zu geschehen. Aus einem Streben keine gründliche Besinnung zuzulassen und die Geschäftigkeit zur unbedingten Tugend zu erheben.