Selbstversorgung wie z.B. im Rahmen der Möglichkeiten des Jakobguts, das für diesen Text an verschiedenen Stellen als Beispiel dient, ist für Oadier ein zentrales Thema. Selbstversorgung mit Nahrung? Diese ist sicherlich eine wichtige Grundlage. Aber das Prinzip Selbstversorgung geht je nach weltanschaulichem Hintergrund weit über die Bedürfnisse des Körpers hinaus. Der Mensch lebt nicht um zu überleben, er lebt als Geist auch für seine Sinnhaftigkeit und Integrität. Diese sozial-kulturelle Selbstversorgung spiegelt sich unter anderem in Oadien. Der oadische Kulturraum speist sich aus eigenen Quellen und geht eigene Wege. Oadien ist ein Kulturraum, der die Welt der billigen weltweiten Mobilität und Kommunikation zur Kenntnis nimmt, auch bereits im letzten Jahrtausend benutzte. Oadien ist jedoch auch ein Kulturkreis, der sich kritisch mit dem auseinandersetzt, was er um sich herum vorfindet. In welchem Gesellschaft neu erfunden wird, werden kann und in welchem nicht gut geheißene Einflüße gekappt werden können, weil man eben nicht als subjektiv empfundener Teil einer großen Maschinerie dieser und ihren Normen letztendlich völlig ausgeliefert scheint. Kein Menschen ist dem wirklich ausgeliefert.
Distanzierung kann Kräfte entwickeln. Trennung schafft Freiräume. Unterscheidung läßt Wesentliches hervortreten. Wenn Selbstversorgung mit Nahrung die Grundlage für freie Entfaltung legen kann, gilt das umso mehr für Selbstversorgung mit gesellschaftlichen Normen. Aus Sicht der herrschenden Massenkultur oft skeptisch gemustert und als nicht die eigenen Vorstellungen erfüllend verachtet, bietet sich in ihr ein Freiraum sich selbst wie auch die aggressive Grundnatur dieser Kultur zu entdecken. Als Oadier muß man nicht zurückherrschen, weil Kultur auch friedlicher denkbar ist. Auch?
Wenn Selbstversorgung nicht so sehr aus dem Hintergrund frischer und gesunder Ernährung geschieht, sondern aus einem Freiheitsbedürfnis rückt die kulturelle Selbstversorgung besonders in den Fokus. Teil eines Systems zu sein bedeutet weniger zu entscheiden. Auch das kann als Freiheit empfunden werden, Freiheit von lästigen Entscheidungen. Selbstversorger sind nicht in jedem Fall Menschen, die alles selbst mitentscheiden möchten. Aber sie wissen, in welchen Punkten ihnen dies wichtig ist und wo ihre ideellen Grenzen sind.
Freiheit ist auch die Freiheit sein Leben selbst ohne "Sachzwänge" gestalten zu können. Viele Gemeinschaften schaffen sich ihre internen Regularien, die Freiheiten beschränken um die Beziehung der Teilnehmer zueinander zu ordnen und die gemeinsame Wirtschaft zu sichern. Regeln des Zusammenlebens gibt es wohl überall, sie entstehen schon dadurch, daß jemand nicht mag, was ein anderer tut und dieser Konflikt eine Lösungsfindung heraufbeschwört. Ob es angemessen ist eine gemeinsame Wirtschaft durch Regeln abzusichern ist jedoch eine andere Frage. Im Jakobgut setzte man abgesehen von der Erhaltung der Substanz bisher weitgehend auf Freiwilligkeit, wenn es auch immer mal in der Diskussion stand ein steuerartiges monatliches Pflichttätigkeitspensum von einigen Stunden zu schaffen (zum aktuellen Stand siehe Homepage Jakobgut).
Was macht Freiheit also mit Menschen? Je nach weltanschaulichem Hintergrund wird Freiheit auf gesellschaftlicher Ebene teils als Gefahr betrachtet, so wie aus anderer Perspektive der Mangel an Freiheit eine Gefahr darstellt. Strebt der Mensch von sich aus danach sich einzubringen, sich nutzbringend zu beschäftigen? Die oadische Kultur ist sehr suchtkritisch, also fallen in ihre schoneinmal weitgehend mögliche Phänomene wie Junkie-WGs weg. Natürliche Klarheit aus Askese entspricht eher oadischer Sitte. Aber auch wenn sich jemand im Jakobgut nicht gewohnheitsmäßig ungehemmt besaufen können wird ohne kräftig Gegenwind zu bekommen, stellt sich die Frage, warum denn jemand etwas tun sollte, wenn ihn niemand dazu antreibt und ihn auch weitgehend nicht dafür lobt. Das Ideal besteht im Tun aus sich selbst heraus (intrinsische Motivation).
Als Schwierigkeit hat sich im Jakobgut herauskristallisiert gemeinsam Klarheit darüber zu schaffen, was denn alle zusammen oder ein Teil umsetzen wollen. Immer wieder gab es Irritationen, weil die konkrete Umsetzung jemand anderem nicht so recht gefiel. Das drückte auf die Motivation sensiblerer Gemüter. Es verunsicherte, weil das was selbst als richtig betrachtet wurde nicht sicher auch von anderen als richtig betrachtet wird. Gespräche dazu erwiesen sich als so wenig attraktiv, daß sich die Tendenz entwickelte etwas lieber ganz zu lassen als zu fragen, wie die anderen etwas einschätzen würden. Oder auch etwas einfach zu tun und damit zu riskieren empfindlichen Unmut bei jemand anderen zu erregen.
Der praktisch bei jedem Bewohner spürbare Wunsch etwas zu tun wurde nicht selten von dieser Schwierigkeit überschattet. Dazu kommt die Sozialisation der Siedler in der herrschenden Massenkultur, in der es üblich ist auf Druck hin etwas zu tun. Eine solche Prägung beeinflußt den einzelnen Menschen natürlich auch mehr oder minder. Wenige haben umfassend gelernt ihre Zeit eigenverantwortlich zu nutzen und warten wie gewohnt auf extrinsische Motivation. So fallen manche Neusiedler in eine Art Motivationsloch.
Eine weitere Schwierigkeit besteht im gegenseitigen liebevollen Zusammenhalt, der in einer Gemeinschaft unvollkommener Menschen gewissen Prüfungen ausgesetzt ist. Viele sehen schnell die Sachverhalte, die ihnen nicht recht sind und bekommen so ein getrübtes Verhältnis zu den vermeintlich verursachenden Personen. Hingegen werden oft nicht umfassend die Aspekte erkannt, die man selbst mit in die Gemeinschaft bringt und anderen nicht behagen. So kann eine Opferhaltung entstehen, die in neuerer Zeit auch Anlaß zur Kreation eines gleichnamigen Schimpfworts ("Du Opfer!") gegeben hat (Musterbeispiel aus oadischer Sicht könnte z.B. ein working poor sein, der lang und breit darüber klagen kann, wie schlecht es ihm geht wegen seiner vermeintlich ausweglosen Lebenssituation). Warum soll man denn etwas für "so jemanden" tun? Weil es ihm gefallen würde, der dies und jenes tut, das mir nicht gefällt? Aus dem Erkennen dieser Grundproblematik folgt auch die Duldsamkeit als Tugend, die uns helfen könnte ein Gleichgewicht des Wohlwollens zu erreichen.
Und natürlich ist Disziplin auch eine menschliche Eigenschaft, die nicht selbstverständlich ist. Trägheit (in Bezug auf das eigene Wollen und Tun) und Depression sind Warnsignale gerade für Menschen mit großen Freiheiten. Nichtstun, Ausruhen, Sammlung ist an sich eine wichtige Tätigkeit für eine Gesellschaft, die Klarheit und Erkennen hoch schätzt. Dennoch scheint es ein Maß zu geben, das von außen schwer und schon gar nicht verallgemeinernd bestimmbar ist, an welchem der Mangel an neuer Anregung nicht mehr für Sammlung sorgt, sondern in empfundene Ausweglosigkeit umschlägt.
Auch die asketische Tendenz der oadischen Kultur vermindert offenbar den subjektiven Bedarf an wirtschaftlicher Tätigkeit. Und es ist ja durchaus auch die Frage wozu man pragmatisch betrachtet ausgeklügelt wirtschaften soll, wenn der Überfluß der Ausbeutungsgesellschaft geradezu über die Landesgrenze quillt.
Und wie man auch in diesem Text erkennen kann, herrscht in Oadien zuweilen eine Art von Offenherzigkeit, die auch deutschen Ausländern zuweilen wie Hass erscheint, wohingegen das oadische Effizienzstreben dem deutschen Kulturraum ähnelt, jedoch unter anderen Vorzeichen betrieben wird.
Um tatsächlich in Freiheit als Oadier leben zu können bedarf es oft einiger Arbeit der Migranten an sich selbst, wozu auch maßgeblich die Überwindung destruktiver Züge ihrer Herkunftskultur zählt und ein Erlernen der Fähigkeit zufrieden zu sein).