"(Bruno:) Alle zeitlichen Gaben der Gottheit an die Menschen sind so gegeben und gestellt, daß der unvollendete Mensch mit seinem Natur-Verstande, der die Gaben durchaus nicht zu würdigen versteht, an ihnen stets etwas zu tadeln hat. Dem einen scheint die Sonne im Sommer zu heiß, ihm wäre ein ewiger Frühling lieber. Wieder einem andern ist der Winter ganz entsetzlich lästig; ein ewiger Sommer wäre ihm denn doch bei weitem lieber. Ein dritter schimpft sogar über den Mond, da dieser nicht stets im Vollichte bleibet. Einem ist das menschliche Leben zu kurz, dem andern oft bis zur Verzweiflung so langweilig, daß er sich selbst dasselbe gewalttätig abkürzt. Wieder will einer, daß die ganze Erde senza mare (ohne Meer) ein fruchtbarer, fester Boden wäre; während ein Engländer das Meer noch bei weitem ausgedehnter haben möchte, als es ohnehin ist, so wollen einige lauter Äcker, andere lauter Wiesen, wieder andere lauter Gärten, noch andere lauter Städte und Festungen! Und so tausend verschiedene Dinge! Ja, ich habe kaum je zwei Menschen kennengelernt, die ganz auf ein Haar ein und dasselbe wollten!
So können die Menschen aus eben derselben Unzufriedenheit die göttlichen Gaben auch nicht belassen wie sie gegeben sind, sondern sie wandeln dieselben stets nach ihrem Belieben und nach ihren irdischen Bedürfnissen um. Die Tiere werden gefangen, abgerichtet, geschlachtet und ihr Fleisch unter allerlei Zurichtungen verspeist. Die Bäume und Pflanzen werden versetzt, veredelt; und die Pflanzen, deren Früchte den Menschen Nahrung geben, werden nur auf bestimmten Äckern gezogen, so wie der Weinstock auf eigens dazu bestimmten Plätzen. Vom Schöpfer aus möchte eigentlich alles wie Kraut und Rüben untereinander wachsen. Aber mit dieser Ordnung ist der Mensch nicht zufrieden und macht sich selbst eine bessere. So wäre von Natur aus auch angezeigt, daß die Menschen nackt umherwandeln und Sommers und Winters unter freiem Himmel oder in zufälligen Höhlen und Grotten kampieren sollen! Allein sie sind mit dieser ihre feine Haut etwas zu sehr kitzelnden Bescherung durchaus nicht zufrieden und machen sich deshalb zweckmäßige, ja mitunter sogar sehr luxuriöse Kleider, mit denen sie ihre Haut bedecken, und bauen sich aus demselben Grunde allerlei Häuser und Wohnungen und tun sich in selben gütlich.
Warum pfuschen denn die Menschen da in die erhabene Gottesschöpfung hinein und zeigen dadurch der Gottheit tatsächlich, daß sie mit der ersten, vom Schöpfer gestellten Ordnung durchaus nicht zufrieden sind? Ein Glück für die Gestirne des Himmels, daß sie von menschlichen Händen nicht erreicht werden können, sonst hätten sie schon lange eine andere Ordnung erhalten. Was läßt der Mensch wohl unangetastet, das er mit seinen Sinnen und besonders mit seinen Händen erreichen kann? Ich sage dir, nichts! Sogar den Himmel nicht! Denn der eine malt sich ihn so, und ein anderer anders. Sollen aber alle die von Gott erschaffenen Dinge auf der Erde darum nicht von Gott erschaffen worden sein, weil die ungenügsamen Menschen ihre Hände an dieselben gelegt und manche sogar ganz umgestaltet haben? ...
Mit der Lehre Gottes (in der Bibel und anderen Offenbarungsworten) verhält es sich, ganz kurz gesagt, gerade also wie mit der andern Schöpfung. Sie ist vor den Augen des eigentlichen Weltverstandes eine höchst unordentlich aussehende Torheit. Der Weltverstand sucht da vergeblich irgendeine feste Ordnung, die er eine natürliche Logik nennt. Wunderliche Taten und moralische Lehren in zumeist mystischen Bildern sind nahe so wie Kraut und Rüben untereinander gemengt. Hier liest man ein Wundermärchen; dort einen Verweis; auf einer andern Seite eine an und für sich zwar auserlesenste Moral, aber sie hängt mit den andern Erzählungen, Gleichnissen und Begebnissen für den Weltverstand oft noch weniger zusammen als die ordnungsloseste Flora einer gut gedüngten Bauernwiese, auf der ein Botaniker die verschiedensten Muster für sein Herbarium beisammen findet. Das aber widerspricht in der Gotteslehre an die Menschen der göttlichen Ordnung dennoch nicht im geringsten, sondern bestätigt dieselbe vielmehr. Denn eben dadurch zwingt die Gottheit die träge Natur der Menschen zum fortwährenden Denken und verschiedenartigen Suchen, sich ordentlich zurechtzufinden in dem, was ihr im Anfange und in der Äußerlichkeit der Gotteslehre gar so unordentlich und wie zufällig ohne alle Logik hingeworfen vorkommt."
Niedergeschrieben am 25.8.1849 und veröffentlicht in:
Von der Hölle bis zum Himmel, Jakob Lorber, Band 1, Kapitel 114