Jesus

Niederer Altar aus drei Sphären:

Der Morgen

Wir gehen in einer Einkaufszone mit einem eingetüteten neuen Kleidungsstück in der Rechten und laben uns am bunten Treiben, da dringen unangenehm vertraute Klänge an unser Ohr. Wir denken: "Ach du Scheiße, wieder mal irgendwelche geistesgestörte Christen mit ihren schaurig harmonischen superseichten Liedchen. Hoffentlich betteln die mich nicht an für irgendeine unheimlich wichtige humane Aktion. Augen zu und durch!" Dennoch riskieren wir einen Blick und nehmen zur Kenntnis, daß sie diesmal nur auf Seelenfang sind. Wir nehmen uns verschmitzt ein Herz und entschließen uns die vorschriftsmäßig christlich Gewandeten mal spaßeshalber anzuhauen: "Na, ihr seid aber fröhlich!" Ein fettes Mädel mit großem Holzkreuz an einer Halskette antwortet: "Wenn sie mögen können sie in zehn Minuten mit zu unserem Gottesdienst kommen." Wir denken: "Ooooh, da fällt uns die Entscheidung heute aber schwer...", sagen aber lieber: "Nein danke, ich habe nicht so viel Zeit heute." lächeln mitleidig, überlegen eine Weile was man da noch sagen könnte, stellen aber fest, daß jedes weitere Wort wohl sinnlos wäre, weil die ja sowieso nichts anderes im Sinn haben, als uns Verlorene zu retten und deshalb auch ausschließlich aalglatte Antworten zu erwarten sind. So verabschieden wir uns höflich und gehen innerlich kopfschüttelnd unserer Wege.

Einige Gedanken machen wir uns noch über dieses soziale Problem der Sekten, etwa fragen wir uns, ob Gott wohl der Erfinder der Drückerkolonne ist und was, verglichen mit Zeitungsabogeschenken, Gott uns wohl für eine Prämie schickt für ein neu geworbenes Mitglied; wie es wohl kommt, daß jeder seinen Gott für den besten hält, bis auf die fernöstliche Fraktion, die erfrischenderweise auch andere Götter akzeptieren können und somit unseren Sekten offenbar einen Reifegrad voraushaben - nämlich den, sich nicht um Blödsinn zu streiten; wie wir grundsätzlich mit Marx in dem übereinstimmen, daß Religion das Opium des Volkes ist, jedoch gewaltsame Unterdrückung offenbar nicht zur Lösung des Problems führt, sondern so eine Art Fürsorge viel sinnvoller wäre, um die Sekten in einer humanen und zivilisierten Gesellschaft mit ihrem wissenschaftlichen Kenntnissstand überflüssig zu machen, müssen uns aber eingestehen, daß es wohl immer ein paar Spinner geben wird.

Der Mittag

Wissenschaft hat den Vorteil, daß sie sich vor allem damit beschäftigt, sich irgendwelche Erklärungen für etwas auszudenken, was man in der Natur beobachten kann oder gewissen Gesetzmäßigkeiten nach, als Phänomen erscheint. Auch wenn das Fachchinesisch mitunter garnicht diesen Eindruck zuläßt, ist die Wissenschaft doch ein kulturelles Phänomen, das von jedem im Grunde mit seinem Verstand erfasst werden kann. Wissenschaft beschäftigt sich nicht wirklich mit der Wahrheit, sie ist ein großes Spiel in dem der gewinnt, der sich die tollsten Erklärungen herleiten kann, die so gut sind, daß sie keiner widerlegen kann. Mitunter reicht es aber auch nur, Gegenargumente zu seiner Erkärung einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen und seine Version oft genug zu wiederholen. Wissenschaft weiß garnichts. Wissenschaft ist eine Methode, sich an die Wirklichkeit anzunähern und lebt durch die interne Konkurrenz der ausgedachten Erklärungen. Sie ist ein Trost über der Ahnungslosigkeit des Menschen und hat es zu erstaunlichen technischen Anwendungen gebracht. Wahrheit - wie schon gesagt - kann man aber von der Wissenschaft niemals erwarten, sie ist nie absolut, sondern eben nur so gut wie ihre inhaltlichen Gegner - bestenfalls. So wundert es kaum, daß gerade auch Wissenschaftler selbst, sich gerne heimlich mit Metaphysischem beschäftigen - weil sie ja im Gegensatz zum "gemeinen Werktätigen" wissen, woran sie mit der Wissenschaft sind. Wer ein guter Märchenerzähler ist, der ist auch im Prinzip ein guter Wissenschaftler. Leider kann sich der Märchenerzähler aber selbst am wenigsten mit Märchen trösten, weil sie ihm nichts Erhabenes sind, da er sie selbst erfindet und weiß, daß nichts dabei ist, was wirklich verehrenswert wäre.

Der Abend

Jesus, wo bist du? Du sagtest dein Reich ist nicht von dieser Welt, warum verdrängen das die Sekten um dich? Sicherlich kann auch ein Fußballverein nichts dafür, wenn mich einer seiner Fans mit einer ekelhaften Bierfahne anrülpst und dir wird es wohl ähnlich gehen, ja?! Aber wieso sind so viele deiner Fans derart mit Blindheit geschlagen, daß sie ihre Rituale höher schätzen, als deinen Willen? Ach, nicht nur mit dir wird posthumes Schindluder getrieben, wie vielen Philosophen, Künstlern und Forschern erheht es ähnlich!? Die Fans interpretieren alle ihre Wünsche in ihr Idol hinein und interessieren sich leider nur sehr wenig für die tatsächliche Meinung ihres verblichenen Idols, das sich nicht mehr wehren kann. Und die Lautesten sind irgendwie oft auch die Schlimmsten! Doch wo sind deine leisen, wahren Fans? Oder gibt es gar keine? Wie kommt es, daß so viele deiner Fans die Bibel vorwärts und rückwärts lesen und sich über die heikelsten Details trefflich streiten können und dabei einer Truppe ähneln, die immer und immer wieder die Gebrauchsanleitung ihrer Kanone lesen und über die tollsten Dinge diskutieren und irgendwie nie mal daran gehen ihr Wissen auch wirklich anzuwenden. Welcher vernünftige Mensch liest denn eine Gebrauchsanleitung mehr als einmal und vielleicht irgendwann mal wieder um was Bestimmtes nachzuschlagen? Erkennen die denn nicht, daß sich jemand, der sich wirklich für den Gegenstand der Gebrauchsanleitung interessiert, wohl kaum an der Gebrauchsanleitung kleben bleibt aus lauter Sehnsucht endlich den Gegenstand der Anleitung korrekt in seinen Händen zu halten? Und um Himmels Willen, ist nicht lang und breit an den Pharisäern in der Bibel dargelegt und kundgetan was solches Verhalten wert ist? Wieviel Blindheit, Verbohrtheit und Unwillen gehört dazu, diese tausend Winke mit dem Zaunpfahl zu ignorieren und sich trotzdem im Buchstabieren zu ergehen! Gut, daß sie sich Christen nennen und nicht Jesus-Fanclub, denn dann müßte man sich ja vor der Welt wirklich für deinen Namen schämen! Du hast zwar gesagt: "Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen des Vaters tut, der in den Himmeln ist." (Mat 7:21) aber ich befürchte das hat kaum jemand so richtig verstanden, vielleicht sagst du das besser nochmal ganz laut?! Zum Beispiel so:

"Glaube es Mir, die Wahrheit fordert keinen Glauben in der Weise, was du Glauben nennst, auch keine leere, hinterhaltslose Hoffnung, sondern sie schafft dir in deinem Lebensinnersten eine sonnenhelle Zuversicht und läßt über das einstige Leben keinen noch so geringen Zweifel zurück! Denn die vollste und handgreiflichste Überzeugung lebt in deinem Geiste, - so er wach wird durch die Liebe zu Gott und zu deinem Nächsten!" (Jakob Lorber 1800-1864)

"Man philosophiert so viel im Christentume. Und wozu noch? Eins ist not! Der Geist Jesu Christi muß der Geist meines Geistes, die Seele meines Lebens und Tun sein. Laß doch alle anderen Überlegungen, denn sie hindern mich nur." (Johann von Berniers-Louvigni 1602-1659)