Hoch verehrter echter Mensch,

ich habe meine Zweifel, daß es sie tatsächlich gibt, dennoch möchte ich ihnen auf diesem Wege einen kleinen Brief zukommen lassen. Da ich sie nicht kenne, weiß ich auch nicht worüber sie sich wie zu äußern pflegen und ob sie einer politischen Strömung angehören. So bitte ich sie mir zu gestatten ein wenig ins Blaue zu plaudern.

Wissen sie, ich würde das nicht jedem sagen, denn die Menschen sind oft so gedankenlos und grausam in ihrem Verhalten, besonders wenn sie eine Schwäche wittern, doch zu ihnen habe ich schon ein gewisses Vertrauen. Sie werden das sicher auch aus eigener Erfahrung kennen nicht wahr? Was nicht flach auf der Erde liegt wird solange getreten, bis es ebenfalls liegt. Das liegt in der Natur einer solchen Gewaltkultur. Ich bin sehr verunsichert, lieber Freund. Ja, mich bedrücken diese gehetzten, entwurzelten Menschen. Warum schätzen diese sich nicht so, daß sie sich an der Ruhe erbauen können? Ich will ihnen nicht darüber dozieren, sie werden schon verstehen, worauf ich hinaus möchte. Bitte gestatten sie mir folgende Frage: Was soll ich in einer Welt voller Menschen, die sich nichts mehr zu sagen haben, weil sie sich nicht mehr zuhören - können? Nein, wollen! Ich nehme an sie werden mir in dieser Frage weiterhelfen können.

Gerne würde ich diesen Menschen helfen. Ich sehe doch wie matt sie ständig sind, weil sie sich wohl immer sehr mit weltlichen Geschäften abgeben und dahinein ihr ganzes Herzblut geben. Aber sie lassen sich ja nicht helfen! Sie klagen zwar, daß in ihrer Kindheit alles viel schöner gewesen war und, daß sie nun oft perspektivlos sind, wenn sie das auch nicht zeigen möchten, weil sie sich schämen nicht erfolgreich zu sein. Nicht erfolgreich zu sein ist für sie deshalb so schrecklich - so wie ich das verstanden habe jedenfalls - weil sie glauben, wenn sie nicht erfolgreich sind, dann hat sie auch keiner mehr lieb. So ganz verstanden habe ich das freilich nicht, das was ich verstanden habe, raubt mir aber mitunter geradezu den Verstand. Ist es nicht furchtbar - da gehen wir auf der Straße und neben uns ist jemand, der glaubt ich habe ihn nur lieb, ich finde ihn nur achtenswert, wenn er sich umbringt um soviel Dinge in seinen Besitz zu bringen wie er nur kann, die Erfolg symbolisieren? Woher haben sie das? Wer lehrt solche Irrtümer? Das kommt doch nicht aus dem Nichts!

Sie werden es auch kennen, wie sie verglichen werden. Da steht ein entnervter, innerlich erbarmenswert bebender Mensch vor ihnen, der dringend Ruhe bräuchte und in seinem Zustand ja geradezu eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt in seinem extrem überspannten Zustand und mustert sie. Er mustert sie, weil er offenbar an nicht anderes mehr denken kann als zu prüfen ob er noch erfolgreich genug ist. Sie spüren geradezu seine unerhörte Gewaltbereitschaft, seinen sich aufbäumenden und gleich darauf sich wieder niederwerfenden Zorn, der offenbar sein Ziel noch nicht gefunden hat.

Was machen sie in solchen Situationen, wie sie ja unvermeidbar sind? Wie kommt es denn, daß ein Mensch so völlig jede Fähigkeit zur Selbstreflexion verliert? Wie kann man solchen Menschen helfen? Wie schon erwähnt, ich wende mich an sie, weil ich mit meinem Rat nicht weiterweiß. Offenbar klammern die betreffenden Menschen sich ja mit all ihrer tobenden Wut an ihre Dinge und wollen nicht von ihnen lassen, wenn ich versuche ihnen zu erklären, daß sie sich verrannt haben, wozu es schon selten genug überhaupt kommt, weil sie scheinbar ja ihre ganze Wut dem entgegenbringen, der sie auf den Boden der Wirklichkeit zurückholen möchte. Ach, es ist ein klassischer Teufelskreis schätze ich! Doch wo ist sein Anfang?

Sicherlich ist das Elend schon eine Sache der Eltern. So wie bei der Frage, welcher Idiot damit angefangen hat seine Kinder zu schlagen, was dann jeder immer weiter tat, weil die Kinder nicht die Gelegenheit hatten zu erlernen, wie man seinen Unmut ausrücken kann, ohne gleich auszurasten. Ich habe mir schon manchmal gedacht - was irgendwie plausibel sein könnte - daß das Böse so um sich gegriffen hat, weil die Menschen keine Zeit haben, um ihre Sorgen und Zweifel in Ruhe zu klären, um so den Durchblick zu behalten und sie einfach immer weiter ihre Kraft dem Weltlichen widmen, bis sich immer und immer mehr Wut in ihnen anstaut, was ein Zeichen der menschlichen Seele ist, daß es mal an der Zeit ist eine gründliche Pause zu machen. Diese Mißachtung des eigenen Gefühlskörpers führt dann zusehends in einen Zustand, der so verwirrt ist, daß der Mensch sich nur noch durch seinen weltlichen Erfolg zu erleben fähig ist, weil dies das Element in seinem Leben ist, das er gepflegt hat und wahrnimmt.

So erkläre ich mir den Abstieg eines fröhlichen, offenen, herzerfrischenden Kindes zu einem vollkommen verwirrten Menschen, den ich mal provokativ als Untoten bezeichnen möchte. Sie kennen diese Fabelwesen, nicht wahr? In Comics sind sie grün, heißen Zombies, sind total verwahrlost und verdreckt, erbarmenswerte Gestalten im Grunde, die aber wie primitive Roboter aus Science- Fiction Filmen der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, quasi hirnlos und offensichtlich zur Gänze geistesabwesend und ziellos durch die Straßen wanken. Aber das nur nebenbei.

Wenn ich dies so rekonstruiere und nicht weiß wie zutreffend meine Vermutungen sind, stellt sich mir schon die Frage, was der Mensch nur für ein seltsames Wesen ist. Mal hing ich der Ansicht an, dies sei eine Folge der Überbevölkerung. Mittlerweile glaube ich mehr, daß die Verbrennungsmotoren und Dampfmaschinen, die Nutzbarmachung von großen nicht der eigenen Kraft entspringenden oder nicht aus den ökologischen Kreisläufen maßvoll entnommenen Energiequellen den Menschen überfordert hat. Vielleicht ist der Mensch im Laufe der Evolution einfach so ein stark instinktiver Gelegenheitshorter von Gegenständen geworden, die seinen Handlungsspielraum erweitern, weil die geizigsten Horter überlebten? Vielleicht ist er in der Fülle seiner Möglichkeiten in einer Hochkultur, wie der diesen, schlicht derart überfordert, weshalb seine ursprünglichen Handlungsmuster ihn nun eher behindern, da er nicht nur alle paar Wochen einen tollen Stock findet, sondern ständig umgeben ist von tollen Gelegenheiten, die er sich nur angeln muß, indem er einem Gelderwerb nachgeht.

Ja, mein Freund die Evolutionstheorie ist schon eine schöne Sache. Mit ihr kann der Soziologe einfach alles erklären, auch total widersprüchliche Motivationen des Menschen. Fragt sich nur, warum ich dann nicht so bin. Oder bin ich so und hab es nur noch nicht gemerkt? Das Problem muß ja an einer völlig anderen Stelle zu suchen sein. Kein Vogel schafft ununterbrochen Nistmaterial an seinen auserkorenen Nistplatz um schließlich tot umzufallen, wenn er das Material für einige hundert Nester aufgetürmt hat. Theorien über die Evolution des menschlichen Verhaltens sind ja wohl nur deshalb so beliebt, weil man sie nicht so einfach oder auch garnicht widerlegen kann. Man behauptet einfach nur was.

Was also bewegt den Menschen zu seiner Selbstzerfleischung? Ich denke, es könnte die tragische Tendenz sein, selbst lieblos zu sein und von anderen Liebe zu erwarten. So ist möglicherweise das energische Festhalten des Menschen an seinem Besitz ein fehlgeleitetes Festhalten an der eigenen Liebe in der Form des Besitzes. Der Mensch erlebt die Frucht seiner Hingabe im Materiellen, also ist das Materielle subjektiv gleichgesetzt mit der Hingabe. Gibt ein Mensch ein Ding, so meint er so seine Hingabe, seine Liebe zu geben. Und hat ein Mensch viele Dinge, so fühlt er sich gut, als ob er viel Liebe hätte. Das wäre dann der fatale Irrtum. Doch so recht kann ich mich auch mit diesem Versuch einer Erklärung des Unerklärbaren nicht anfreunden.

Werter Freund, vielleicht ist die zutreffende Erklärung ja die der zwei Geister. Als selbst Christ ist mir das natürlich naheliegend. Satan als Ungeist, der die Menschen versucht einzulullen, indem er ihnen weiszumachen versucht, sie seien gerecht, gut, könnten stolz auf ihre weltlichen Leistungen sein und würden deshalb es nicht nötig haben, ihrerseits ihre Mitmenschen liebevoll anzunehmen, da sie ja schon gut sind, indem sie ohne fremde Hilfe ihre Wirtschaft betreiben und nicht angewiesen sind auf die Liebe und Hilfsbereitschaft von Mitmenschen. Jesus als Lichtgeist, der die Menschen versucht darauf hinzuweisen, daß alles was sie besitzen ihnen von Gott gegeben ist und ihr Fleiß in der Liebe selbst seinen besten Platz hat, weil die Liebe den Menschen erleuchtet, die Dinge ihn aber nur von der Liebe abhalten, wenn der Mensch sie in sein Herz schließt als wäre in ihnen irgendein Wert und sie dann nicht mehr hergeben möchte und in seinem Festhalten an den Dingen aus seinem Eigennutz nur bekundet, daß ihm seine eigene Freude wichtiger ist, als die Freude eines Mitmenschen und sich so ungleich zu Gott macht, sich von ihm trennt, weil Gott ja die reine Liebe ist und stets bemüht ist den Menschen so glücklich zu machen, wie es ihm möglich ist, weil Gott ohne Liebe niemals etwas geschaffen hätte, denn das Schaffen von Leben ist ja ein Zeichen der Liebe, vor der aber nichts bestehen kann, das nicht selbst ganz Liebe ist.

Wenn aber so, was kann man da tun? Es ist ja jedem Menschen offensichtlich, daß es schön wäre, wenn alle Menschen sich einfach aus vollem Herzen lieben würden. Jeder wünscht sich doch mal einen Menschen zu treffen, der so voller Liebe ist. Was also hindert die Menschen sich selbst so zu formen, wie sie ihre Mitmenschen gerne hätten? Weil die anderen Menschen so schlecht sind und man fürchtet dann ausgenutzt zu werden? Wenn man selbst schon so viele Menschen ausgenutzt hat, warum soll man nicht auch mal anderen Menschen gestatten einen selbst auszunutzen? Die Liebe ist doch kein Zustand in dem der Mensch die Kontrolle über sein Handeln verliert. "Wenn man merkt, daß es einem Mitmenschen nicht bekommt sich ihm zuzuwenden, dann muß man eben mal überlegen, wie man besser helfen kann." - Wenn ein Mensch mit solchen Ausreden kommt, dann ist ja klar, daß es ihm nur und allein am Willen mangelt. Der Mensch ist so erfinderisch, wenn er sich einer Aufgabe wirklich hingibt.

Lieber Freund, sie sehen nun sicher mein Dilemma. Ja, was macht man, wenn man unter lauter Menschen lebt, denen es schlicht am Willen fehlt, ihren Beitrag zu einem menschlichen Umgang unter den Menschen zu leisten? Meckern und sich beklagen, darin sind sie Meister, lästern können sie auch, aber sich mal einen Ruck zu geben und wem zu helfen, wenn man sieht, daß jemand Hilfe brauchen könnte um wieder fröhlich sein zu können, das geht nicht? In der Tat, das kann nicht sein. Es macht doch nun wirklich keine große Mühe zu helfen, was anderes wenn nicht ein schlechter Geist bewegt den Menschen dennoch zu sagen: nein, der soll mann selbst damit zurechtkommen? Dabei macht es soviel Freude anderen zu helfen. Wen kann es da noch wundern, daß lieblose Menschen sich nicht mehr wirklich freuen können? Was kann man tun, wenn so ein Mensch mitunter geradezu ausrastet, wenn er einen seelenruhigen, fröhlichen Menschen sieht und sich bemüht ihm zu schaden wo er nur kann? Was kann man satanisch nennen, wenn nicht das? Satan war ja wohl auch neidisch auf Gottes Liebe und Güte.

Wäre ich Evolutionssoziologe würde ich diagnostizieren: Ein offenbar schon lange soziales Tier mit ausgeprägter Neigung zur Arbeitsteilung ist irgendwie aus nicht erklärlichem Grund durchgeknallt und hat vergessen, daß es im Evolutionsprozeß einen Vorteil erlangte, dadurch, daß es dem Mitglied der Gruppe uneigennützig half, das Hilfe brauchte und so die Möglichkeit eröffnete, daß dieses Mitglied seinerseits wieder einmal einem anderen Mitglied der Gruppe hilft. Es fühlt wohl noch, daß es richtig wäre zu helfen, tut es aber nicht mehr trotz atemberaubendem Wohlstand und nie dagewesenen Möglichkeiten zu helfen. Nichts hindert den Menschen dem nachzukommen, was seine Natur sein müßte, doch er tut es dennoch nicht und es ist kein aber auch gar kein äußerer Faktor erkennbar, der tatsächlich dieses Krankheitsbild begründen könnte, wenn man es sich recht überlegt und nicht ganz bequem auslotet, wie man sich fühlt und sich dann irgendwie ausmalt, wie das immer schon warum so gewesen sein könnte, um eine beruhigende, wenn auch falsche Rechtfertigung zu produzieren, weswegen man selbst den Arsch nicht hochbekommt. Diese Tendenz zu falschen Begründungen könnte in der Evolution möglicherweise die Funktion gehabt haben, den Menschen vor Depressionen und Selbstmord zu schützen (das ist ein Scherz).

Sie sehen, geschätzter Freund, der Humor ist mir noch nicht ganz vergangen, aber ich möchte sie abschließend doch nun bitten, mir behilflich bei der Lösung meines Problems zu werden. Was also kann ich tun mit Menschen, die geistig so verwirrt sind, daß sie rastlos Dinge raffen, ohne je deswegen wirklich zufrieden zu werden über den Stolz hinaus, etwas vollbracht zu haben, nicht bereit sind, andere Menschen von Herzen zu lieben, weil sie Angst haben dabei nicht erfolgreich zu erscheinen und freiwillig immer eine tonnenschwere Last innerer Verkrampfung mit sich herumtragen und deshalb immer zu müde sind, um mit ihnen vernünftig reden zu können und oft ein bedrohliches Aggressionspotential mit sich umhertragen, weil ihnen das Gemüt den Dienst wegen mangelnder Zuwendung versagt? Mein Freund, sie sehen mich ratlos.